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2023-03-17

BiografieSplitter 3 - Erinnerung an meine Klavierlehrerin

Marie-Theres Klein.jpgMarie-Theres war meine Klavierlehrerin. Natürlich hieß sie da zuerst nur Frau Klein. Ihre Tochter Mechthild war meine erste große Liebe, sie 14, ich 15! Wegen ihr habe ich Klavier gelernt. Bei ihrer Mutter. Wir kannten uns aus dem Kirchenchor. Meine älteren Brüder hatten mich dahin mitgenommen, sobald der Stimmbruch einigermaßen vorbei war. Marie-Theres Klein spielte Klavier, damit die Chorleiterin sich aufs Dirigieren konzentrieren konnte. Sie spielte auch unendlich oft Sonntag im Gottesdienst die Orgel. Meistens den um Acht, weil da die Chorleiterin noch müde war. Mechthild sang im Sopran, ich erster Bass. Das war so schön schräg gegenüber, dass wir immer zueinander rüber schielen konnten, einer zur anderen. Und auf das Schmusen in der Pause warten.

Warum ich das heute erzähle, wo über 50 Jahre vergangen sind?
Weil ich erzählen will, weil ich hier erzählen muss, wie schlimm sie gestorben ist und wie wunderbar, fast 25 Jahre lang.
Meine Freundschaft mit Mechthild war bald zu ende, zu bald. Klavierstunden hatte ich noch länger. Und in den vielen Jahren, die dann folgten, habe ich Frau Klein, irgendwann hatte sie gesagt, ach, Stefan, sag einfach Marie-Theres zu mir, unregelmäßig immer wieder besucht. Manchmal habe ich ihr ein neues Lied vorgespielt, das ich gemacht hatte. Manchmal, eher selten, hat sie mir vorgespielt. Am liebsten Bach. Mindestens zwei Kannen Kaffee lang haben wir dann geredet miteinander. Obwohl Kaffee wegen ihres Magens eigentlich tabu war. Und sie hat eine Zigarette geraucht, eigentlich noch strikter tabu, aber sie genoss sehr diese kleinen Tabubrüche aus “besonderem Anlass”. Und ich genoss, dass ich für sie ein “besonderer Anlass” war… Manchmal hat sie mir von Mechthild erzählt. Wahrscheinlich, weil sie wusste, dass ich es hören wollte.

Irgendwann merkte ich, dass sie immer magerer wurde. Und immer öfter hörte ich, wenn ich sie anrief, von ihrem Mann: Sie ist im Krankenhaus. Der Magen. Beim nächsten Besuch sprach sie leise darüber. Aber ohne Klage! Ja, von Anfang an und bis ans lange, lange, schwere Ende ohne Klage! Sie lachte immer noch gerne. Und sie hörte. Sie lauschte. Und sie sagte immer wieder: Ich habe doch die Musik! Und Euch, meine Schülerinnen und Schüler, die ihr längst, über alle Altersbarrieren hinweg, meine Freunde geworden seid. Sie hörte einfühlsam nach meinem Studium, aber auch nach meinem (neuen) Liebesschmerz oder nach dem Schmerz meiner Mutter, nachdem mein Vater früh und plötzlich gestorben war. Wir sprachen gerne über Gott. Auch dann war meistens sofort Musik im Spiel. Und wir sprachen über die Gemeinde. Hechelten ein bisschen die Leute durch. Vor allem die Chorleiterin. Wir sprachen auch über ihre Krankheit und dass wieder eine Operation ansteht und wieder.

Nein, ich habe sie nie gefragt: Warum klagst Du so wenig? Wenn ich bei ihr war, habe ich mich eigentlich auch nie darüber gewundert. Erst später, wenn ich an sie dachte und an ihr schweres Krankheitsschicksal. Und wenn ich Menschen traf, die einfach klagen mussten. Schon bei scheinbar geringerem Anlass. Ich beurteile das nicht. Aber es lässt mich wieder und wieder an Marie-Theres denken und ihre Klaglosigkeit, die so wunderbar war; weil sie nicht einer moralischen Haltung entsprang, kein irgendwie selbst oder von Mitmenschen oder von Gott auferlegter Zwang war: Sei ruhig, Mensch, nimm dein Schicksal an und klage nicht. Nichts davon. Irgendwie anders und echter und ganz von innen.
Ich glaube, es war die Kraft der Musik in ihrem Herzen, ihre Form von Liebe. Liebe zu den Menschen und zum Leben, obwohl es ihr so übel mitspielte.

Als sie dann starb, hatte ich sie länger nicht mehr gesehen. Ich bin auf dem Friedhof in die kleine Kammer, wo die Tote aufgebahrt war. Sie war wirklich unendlich mager geworden und dadurch altaltalt und unscheinbar. Aber selbst ihr Leichnam strahlte tatsächlich immer noch etwas von dieser wundervollen Klaglosigkeit aus.
Oder war es nur meine Erinnerung an sie?

Äußerst peinlich, aber auch irgendwie „typisch Kirche“ war, dass ihre Familie beim Requiem in der Gemeinde 80 Euro für den Organisten bezahlen musste. Gut, es war inzwischen so viel Zeit vergangen, dass kaum jemand von den inzwischen Verantwortlichen sie noch kannte. Aber es war wirklich traurig, wo sie so oft völlig unentgeltlich und so oft sonntags so früh die Orgel gespielt hatte.

Angesichts gerade ihrer eindrucksvollen Klaglosigkeit will und muss ich dies schon sehr beklagen…

Marie-Theres Klein und dem Vorbild meines ältesten Bruders Clemens verdanke ich die Freude am Klavierspielen (Bild links)! Die Brüder Clemens (rechts) und Thomas bei einer Darbietung auf unserer Hochzeit 1981 und Clemens am Klavier bei meinem 60sten… Danke!
1978 Sankt Georgen im Studium-2.jpgClemens bei meiner Hochzeit 1981.jpgClemens2.jpg

stefan - 19:11 | Kommentar hinzufügen

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Leopold Haerst
24.11.2023 13:47:18
"Eine Heiterkeit, die ihn direkter Verbindung zum schwarzen Untergrund des Lebens steht, die ihm mühsam abgerungen wurde, die also Tragik nicht leugnet und weglacht, sondern in etwas anderes wendet, eine solche Heiterkeit kann ein Land verändern."
Lieber Stefan, dieses Fazit von Axel Hacke über den Humor von Loriot (SZ, 11./12. Nov. 2023) kann ich für die Begegnungen mit dir in deinem Kirchenkabarett, in deinen Hörfunkbeiträgen, zuletzt auch ganz überzeugend in deinem neusten Buch „Nervensegen – Ein Trostbüchlein für strapazierte Seelen“ nur übernehmen. Deine Empathie und Redlichkeit, dein kreativer Umgang mit Sprache, deine Courage und Heiterkeit können das Land, können Kirche verändern. Sie können „Wunder wirken, wo Wunden wehtun“ (deine Worte)! Oder wie es Harvey Cox einmal schrieb: "Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe."
Hans-Peter Semmlinger
19.03.2023 08:41:16
Wie schön das ich auf Eure Homepage aufmerksam geworden bin. Obwohl ich bisher nur einen Bruchteil gelesen bzw. mir angehört habe, haben mich die Beiträge sehr inspiriert.

Ich werde euch noch oft besuchen.
Vielen Dank Semmi