Heroks -KirchenKabarett
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Kanzeltausch Kreuzkirche Wiesbaden - Predigt Stefan Herok

Sonntag, 10. November 2024
Lesung aus dem Buch Micha 4,1-5
Am Ende der Tage wird es geschehen: / Der Berg des Hauses des HERRN steht fest gegründet als höchster der Berge; / er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen Völker. Viele Nationen gehen und sagen: Auf, wir ziehen hinauf zum Berg des HERRN / und zum Haus des Gottes Jakobs. Er unterweise uns in seinen Wegen, / auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion geht Weisung aus / und das Wort des HERRN von Jerusalem. Er wird Recht schaffen zwischen vielen Völkern / und mächtige Nationen zurechtweisen bis in die Ferne. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden / und ihre Lanzen zu Winzermessern. Sie erheben nicht mehr das Schwert, Nation gegen Nation, / und sie erlernen nicht mehr den Krieg. Und ein jeder sitzt unter seinem Weinstock / und unter seinem Feigenbaum und niemand schreckt ihn auf. Ja, der Mund des HERRN der Heerscharen hat gesprochen. Auch wenn alle Völker ihren Weg gehen, / ein jedes im Namen seines Gottes, so gehen wir schon jetzt / im Namen des HERRN, unseres Gottes, / für immer und ewig.
Herr, schenke uns deinen Geist, damit wir auf das hören, was du uns zu sagen hast. Amen!

Liebe KreuzkirchenGemeinde, liebe Glaubensgeschwister!
Dankeschön, dass ich heute bei Ihnen sein darf, in der guten Tradition des Kanzeltauschs zwischen Ihnen und der Sankt ElisabethKirche. Ich vertrete meinen erkrankten Kollegen, Herrn Pfarrer Ohlig, und wir dürfen ihm vielleicht auch von hier aus einen herzlichen Genesungswunsch schicken.
Erlauben sie mir zunächst ein persönliches Wort. Ich bin ihrer schönen KreuzKirche auch als Katholik stärker verbunden als man annehmen mag. Im Juli 1959 wurden hier meine evangelischen Schwiegereltern getraut und ein Jahr später meine Frau getauft. Und zur Goldenen Hochzeit der Schwiegereltern 2009 durfte hier auf dieser Kanzel schon einmal predigen…
Ich bin aber auch schon mit dem Ökumenischen ReligionslehrerInnenTag öfter hier gewesen und sogar als Kirchenkabarettist… (Frau Kirchen erinnert sich vielleicht…)
Was für ein starker und berühmter Text, den uns die evangelische Leseordnung für den drittletzten Sonntag des Kirchenjahres heute präsentiert: „Schwerter zu Pflugscharen“! Schlüsselwort jeder Friedensbewegung. Wenn Christen über den Frieden nachdenken, kommt keiner an diesem Wort vorbei.
Ich habe Ihnen die katholische Bibelfassung vorgetragen. Keineswegs aus mangelndem Respekt vor der Lutherbibel, sondern damit Sie sich schon etwas einhören konnten ins Sprachspiel des katholischen Predigers. Außerdem finde ich – für uns rheingauaffine Wiesbadener - so schön, dass in dieser Fassung die Erwähnung des Feldbauern und seines Pfluges ergänzt wird durch das „Winzermesser“ der Weinbauern. Bei Luther steht da die Sichel.
(Ich habe die katholische Übersetzung auch in der Hoffnung gewählt, dass Ihren hochgeschätzten „evangelischen Ohren“ der Text vielleicht ein bisschen fremd erscheint. Es ist ja schön, wenn uns Bibeltexte zutiefst vertraut sind. Solche Vertrautheit bringt dann aber oft auch eine Gewöhnung mit sich, die es dem Wort schwer macht, mit seiner ganzen inhaltlichen Kraft unser Gehör zu finden und in unser Gegenwartsbewusstsein vorzudringen, vielleicht sogar so stark, dass es uns zutiefst berührt und in Bewegung bringt.)
Wann hat das ein BIBELWORT bei Ihnen zuletzt vermocht?

Und was bitte macht es jetzt mit Ihnen, dieses Wort: „Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden / und ihre Lanzen zu Winzermessern“? Und noch mehr der kleine Satz danach mit seinem „pazifistischen Sprengstoff“: „Und keiner lernt mehr für den Krieg!“ Keiner lernt mehr für den Krieg!
Haben solche Sätze ein Gewicht für uns und für heute? Wo so vieles im Moment physisch oder mental doch eher aggressiv und kriegstreiberisch daherkommt?
Gut, wer dem ganzen Text aufmerksam zugehört hat, der wird vielleicht abwinken: Die ganze Szenerie spielt ja nicht heute, nicht bei uns, sondern am sogenannten „Jüngsten Tag“. „Am Ende der Tage…“ so beginnt der Text. Und im Wochenlied haben wir schon davon gesungen: „Es wird sein in den letzten Tagen“ (426) bzw. „Wir warten Dein, o Gottes Sohn“ (152).
Das sind gegen Ende des Kirchenjahres schon fast adventliche Töne, wenn man recht bedenkt, dass der Advent ja nicht „idyllisch aufs Christkind“ wartet, sondern eigentlich auf die Wiederkehr Christi - als Richter. Das ist auch die Szenerie unseres Schwerter-zu-Pflugscharen-Textes.
Also weit weg von uns und von heute?
Das möchte ich Sie gerne selbst entscheiden lassen!

Denn Texte und Gedanken mit christlichen Handlungsoptionen, mit konkreten Folgen für Ethos und Moral, - Schwerter zu Pflugscharen! Den Krieg nicht erlernen! Und so weiter - da sind wir predigende Kirchenleute schnell geneigt, den Zeigefinger zu erheben und ordentlich moralischen Druck aufzubauen und Sie mit Argumenten zuzuballern. Und das gilt, wie ich fürchte, für beide Konfessionen. Die evangelische Kirche zeigt sich zwar, was ich gut finde, liberaler z.B. in Fragen der Sexualmoral, dafür aber zuweilen rigider, was politische Moral, political Corectness betrifft. Dass Sie mich bitte nicht falsch verstehen, ich bin durchaus der Meinung, dass christliche Kirche politisch sein muss, parteiisch auch, aber nicht parteilich, sondern überparteilich. Wer meint, Kirche solle sich aus der Politik raushalten, macht auch Politik, sogenannte Vogel-Strauß-Politik: den Kopf in den Sand stecken. Und er verkennt, wie und wo Jesus sich positioniert hat. Und die Pazifismusfrage des heutigen Bibeltextes ist natürlich hochpolitisch.

Was also, liebe Christenmenschen hier in der Kreuzkirche, am 10. November 2024, was macht der Text mit Ihnen? Löst er Bilder aus, Anknüpfungspunkte, Umsetzungsmomente, wo er konkret werden könnte für uns, unsere Welt, unsere Zeit?
Ich lese die Worte jetzt nochmal vor und dann halte ich einen Augenblick inne, damit DenkRaum und FühlZeit entsteht für Ihre Gedanken und Empfindungen. Also: „Dann schmieden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen, ihre Lanzen zu Winzermessern und sie üben nicht mehr für den Krieg.“

Nehmen Sie, was Sie gerade gedacht und empfunden haben, jetzt bitte mit auf den weiteren Gedankenweg dieses Gottesdienstes, legen Sie es mit auf den Tisch, wenn wir nachher Abendmahl feiern, uns hineinnehmen lassen in die große Verwandlung zwischen Himmel und Erde und wenn wir später, draußen vielleicht noch ins Gespräch kommen miteinander.
Ist Ihnen eigentlich schon einmal aufgefallen, dass die Bibel hier in unserem Text, wie übrigens an so gut wie allen Stellen, wo es um Moral geht, vollkommen ohne Imperative und Apelle aus-kommt. Auch in den zehn Geboten, kein Zeigefinger, kein „Du sollst“. Sie spricht in einfachem Futur: Du wirst keine anderen Götter haben. Du wirst nicht töten. Erst recht in der Bergpredigt. Einfache Aussagesätze: Selig, die Friedfertigen.

Warum eigentlich kein Appell? Weil der Verkündigungsmodus Jesu und sein Weg, die Welt zu erlösen, die Einladung ist: Komm und sieh! Die Einladung und das Vorbild! Weil Jesus uns, sei-ne „Pappenheimer“ kennt, darum weiß er, dass Appelle nix nützen. Ja selbst vom triftigsten Argument sind wir nicht zu überzeugen und zum Handeln zu bewegen, wenn Herz und Seele nicht im Spiel sind, wir also innerlich unberührt bleiben.

Und darum komme ich Ihnen jetzt – Achtung – noch einmal hübsch ordentlich katholisch!
Heute ist der 10. November. Wenn das kein Sonntag ist, dann ziehen an diesem Abend die SanktMartinszüge durch die Gemeinde und erinnern laternenfroh an seine leuchtende Geschichte: Nämlich, was man mit Schwertern noch alles so positiv anstellen kann, Mäntel teilen. Dieser Martin von Tour war übrigens der erste Kriegsdienstverweigerer - aus religiösen Gründen. „Bis heute habe ich Dir als Soldat gedient; erlaube, dass ich in Zukunft für Gott und die Schwachen kämpfe. Ich bin ein Soldat Christi. Mir ist es nicht erlaubt, Blut zu vergießen." Mit diesen Worten wirft Martin Kaiser Julian in Worms sein Schwert vor die Füße.

Ja, wir Katholiken verehren Heilige und ich möchte tatsächlich dafür werben! Auch Sie, liebe ProtestantInnen der Kreuzkirchengemeinde. Warum ich mich das traue? Vielleicht weil die „Gemeinschaft der Heiligen“ auch in Ihrem Glaubensbekenntnis steht? Mehr noch, weil wir inzwischen eine bereinigte und in gewisser Weise geläuterte Heiligenverehrung anzubieten haben. Wir verstehen und „gebrauchen“ sie nicht mehr als Fürsprecher und Türöffner. Wir beten die Heiligen nicht an. Und wenn wir zu ihnen beten, dann existentiell auf Augenhöhe, nur graduell eventuell verschieden, vielleicht wie ein Gespräch zwischen Lehrling und Meister. Auch wir Katholischen dürfen heute im Kontakt mit dem Himmel ganz direkt beim Chef vorsprechen und brauchen dafür keine Vermittler mehr! Der Gedanke stammte aus feudalistischen Zeiten, wo man sich den Himmel wie einen königlichen Hofstaat dachte. Das kann man in der Geheimen Offenbarung noch höchst anschaulich nachlesen, aber das ist für zeitgemäßen Glauben schon lange nicht mehr angemessen.
Ich liebe viele Heilige und verehre sie, und ich werbe öffentlich dafür, auch bei Ihnen, weil die Heiligen für mich eine „Einladung Gottes“ sind! Prototypen des himmlischen Menschen auf der Erde. Vorbilder, wie Leben im Sinne Gottes gelingen kann. Ihre Geschichten vermögen besser als jeder Appell unsere Herzen anzurühren und unsere Seelen in Bewegung zu bringen. Mich hat Jesus, aber eben auch der heilige Martin zum Pazifismus motiviert. Die Heiligen sind die leibhaftige Fortsetzung der biblischen Gleichnisse von damals. Die große JesusErzählung geht in ihnen weiter durch alle Zeiten, bis heute. Im Fernsehen nennt man Fortsetzungen „Folgen“! Im Christentum auch: folgen. Herzliche Einladung zum Nachfolgen.
Und damit Sie mich mit dieser Heiligenverehrung auch ökumenisch wirklich richtig verstehen und auch wenn ich das für die Frage nach dem Pazifismus nicht weiter ausführen kann:
Ich feiere heute tatsächlich zweimal Sankt Martin!

Ahnen Sie, was ich meine? Nun, heute ist der Geburtstag von Martin Luther! Für mich im besten Sinne ein ganz besonderer Heiliger und so was von überzeugender Einladung des Himmels.
(Dass dieser Gedankengang für ProtestantInnen nicht ganz abwegig sein muss, das weiß ich, seit ich schon vor Jahren Ihren ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden, Wolfgang Huber, mit einem Vortrag gehört habe: „Dietrich Bonhoeffer als evangelischer Heiliger!)

Es ist ja bis heute offensichtlich, dass wir Menschen gar nicht ohne emotional bewegende Vorbilder auskommen: Starkult und Verehrung von Idolen in Sport und Kunst, selbst in der Politik. Alles hochverehrte Popstars. Das verleiht ihnen aber unter Umständen mehr Macht, als für uns gut ist. Ich finde viele von den denen auch klasse. Aber meine Hochverehrung, die bekommen sie nicht! Die trage ich in keine popkulturelle Arena von Sport bis Politik.
Die trage ich – heute in die Kreuzkirche, um hier in Wort und Brot die Einladung des Himmels anzunehmen und sie dann im Schmusekurs gemäß Psalm 85 in die Welt hinauszutragen, auf dass Gerechtigkeit und Friede einander küssen!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen!

Ich freue mich sehr über Antworten, Fragen, Rückmeldungen zu diesem Text! mail@heroks.de