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Der andere Klang des Wortes "Passion".



Als Religionspädagogen hat es mich schon immer geschmerzt, wenn Alltags- und Religionssprache zu weit auseinanderfallen. Dabei geht dann in der Regel wechselseitig eine Menge Wirklichkeit verloren. Auch die Kraft, dass Sprache die „jeweils andere Welt“ erschließen hilft, leidet dann darunter. Natürlich darf und muss die religiöse Sprache eine „Spezialsprache“ sein für sehr spezielle Momente des Lebens. Wenn sie aber  den Kontakt zur normalen Sprache verliert, dann schadet das ihrer „besten Eigenschaft“, nämlich Türen und Wege zu öffnen in die Welt des Unsagbaren und auch wieder aus ihr heraus. Es geht also um Sprache und Transzendenz. Die Fastenzeit und das Osterfest liefern uns mit einem der zentralsten Schlüsselbegriffe des Christlichen überhaupt ein starkes Beispiel dafür, ob und wie sprachliche Vermittlung religiöser Inhalte gelingen kann.
Da ist das große Wort „Passion“! Passion verstehen wir meistens als passiv ertragenes Leiden, als Duldsamkeit. Es hat kaum etwas Aktives an sich. Passion ist Opfer. So haben wir es gelernt und unsere Kirche hat in langer Tradition nicht der Versuchung widerstanden, das Christentum zu einer Religion der Leidensverherrlichung werden zu lassen. Das ist eigentlich eine Sünde wider den Heiligen Geist. Das wird dem Leben und Sterben Jesu in keiner Weise gerecht. Wenn er z.B. in der Bergpredigt die Trauernden und die Hungernden und die Leidenden seligpreist, so glorifiziert er damit doch niemals Passivität und Leid!

Passion, die nicht passiv ist!
Die Passion Jesu ist nämlich höchst aktiv. Passion ist aktives Handeln für ein höheres Glück. Handeln, das für dieses größere Glück bereit ist, Leid in Kauf zu nehmen. So kann es christliches Opfer immer nur für ein solches höheres Glück geben; für ein Glück, das dem Opfer Sinn gibt; für ein Glück, das aus dem Opfer schon heraus strahlt; das bereits als Silbersteif am Leidenshorizont aufscheint; ein inneres Glück, das dem sich Opfernden Kraft gibt.
Der Hunger, den die Bergpredigt seligpreist, ist nicht einfach irgendein glorifizierter Mangel. Er ersehnt und erarbeitet schmerzlich das Glück der Gerechtigkeit. Die Trauernden werden in der Bergpredigt nicht wegen ihrer Melancholie und Depression selig-gepriesen, weil sie schwarz gehen und sehen und das Leben abgeschrieben haben. Nein, Jesus preist sie selig, weil sie den Mut hatten, aktiv zu lieben und weil ihnen dieses Liebesglück das Risiko wert war, irgendwann den Schmerz des Verlustes ertragen zu müssen. Erahnen Sie langsam, worum es bei Passion immer zuerst geht, lange bevor sie Opfer wird?
Ja, ich werbe für eine stärker differenzierende Wortwahl: Opfer und Passion sind keine direkten Synonyme. Dabei hilft mir eine der berühmtesten Textstellen für das christliche Grundgebot der Liebe: „Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben hingibt für seine Freunde.“ (JohannesEvangelium 15,12-13)

Was ist eigentlich „Hingabe“?
Natürlich denken wir auch da – gut (oder doch eher schlecht?) geschult – sofort an Jesu Kreuz und Tod, an Hingabe gleich Opfer! Und das ist – mit Verlaub gesagt – schade und in gewisser Hinsicht auch falsch! Ich möchte Sie, die Sie diesen Text hier lesen, für den besonderen Klang und Sinn des Wortes „Hingabe“ gewinnen! Darum schreibe ich das „Sie“ hier im Text jetzt auch groß, damit Sie es ein bisschen wie einen Brief empfinden, der Sie persönlich erreichen soll. Spüren Sie ihm bitte einmal einen Augenblick nach, diesem Begriff „Hingabe“, so wie er auch im Adjektiv „hingebungsvoll“ zu klingen beginnt ...
Etwas mit Hingabe hingebungsvoll zu tun, das bedeutet, keine Kosten und Mühen zu scheuen, sich selbst, die Zeit und alle Anstrengungen und den 'Rest der Welt' vollkommen zu vergessen. Wir sind ganz gebannt, vielleicht 'gefangen' von diesem Gegenüber und gleichzeitig ganz bei uns selbst. Man ist ganz 'außer sich', 'ganz bei der Sache' und gleichzeitig mit Herz und Seele voll im Spiel. Man sieht ganz von sich ab und ist gleichzeitig voll dabei. Man widmet sich so hingebungsvoll den Erfordernissen dieser Sache oder Person, richtet sich so nach deren Maßstäben, dass man selbst ganz voll davon ist. Vielleicht sogar in Gefahr, sich selbst dabei und dahinein zu verlieren. Das ist eine Art von Hingabe, die zwar auch zum Opfer werden kann, aber dieses Opfer ist äußerst aktiv und beglückend!
Im Johannestext hat Jesus diesen Glückshorizont bereits einen Vers weiter vorne eröffnet: „Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird.“ (JohannesEvangelium 15,11) So verbindet Jesus mit der Einladung zur Hingabe die Verheißung „vollkommener Freude“!

Passion ist Leidenschaft
Darum ist mein Alternativwort und Synonym für Passion als Hingabe weniger der verbreitet mit ihr identifizierte Begriff „Opfer“, sondern vielmehr der Begriff „Leidenschaft“! Die aber eben nicht Leid(en) schafft, sondern Freude, beim Gegenüber und bei mir.
Diesen ganz anderen, leidenschaftlichen Klang kann das Wort Passion ja auch bei uns haben, zumeist allerdings eher auf Dinge oder Hobbys bezogen, wie passionierter Sammler oder leidenschaftlicher Tänzer oder Bergsteiger. In Verbindung mit Freundschaft und menschlichen Beziehungen kommt uns das Wort Passion nur selten in den Sinn, schon gar nicht in Momenten geglückter Beziehung.
Natürlich kann solche leidenschaftliche Hingabe auch schnell in die Gefahr von Abhängigkeit und Sucht abgleiten. Wahre Hingabe bemüht sich also gleichzeitig, die eigene Freiheit zu wahren. Hier zeigt sich, wie sehr es nun doch auf den Gegenstand, das Gegenüber ankommt, dem man sich mit leidenschaftlicher Hingabe zuwendet.
Wenn Jesus und sein himmlischer Vater also nicht Opfer fordern, sondern zur hingebungsvollen Leidenschaft ermuntern, dann geht es dabei nicht um irgendwelche Hobbys, Verrücktheiten und Exzesse, auch nicht um Workaholics, sondern gerade um menschliche Beziehungen: Hingabe an Freundschaft. Leidenschaft – „Compassion“ – für den Menschen. Leidenschaft für das Leben! Jesus war von dieser Leidenschaft beseelt und erfüllt. Diese Leidenschaft war die göttliche Quelle seiner Kraft und die himmlische Ursache seiner ungeheuren Wirkung. Darum konnte seine Umgebung nur noch von Wundern sprechen. Es war nicht die moralische Anstrengung großer Willenskraft („Wenn du nur willst, dann kannst du!“). Es waren auch nicht Gehorsam und Durchhalteparolen gegenüber einem fremden Willen. Es war die ihm innewohnende göttliche Leidenschaft für das Glück der Mitmenschen.

Es war seine – „Passion“ für den Menschen!

Ja, die Passion Jesu war nicht aufgezwungenes, passives Opfer, und die Passion Jesu beginnt auch nicht erst im Garten Getsemane oder beim Kreuzweg, nicht bei der Ablehnung, auf die er stößt. Nein, seine höchst aktive Passion beginnt dort, wo sein Herz ihn drängt, den Menschen nahe zu sein, sie zu berühren, sie zu heilen, sie glücklich zu machen! Wovon das Herz voll ist, läuft der Mund über und legt die Hand Zeugnis ab!
Wenn ich Sie jetzt nach Ihren Leidenschaften frage: „Was lässt Ihr Herz wirklich höherschlagen?“, dann könnte dies wieder schnell nach moralischem Druck und pastoralem Appell klingen: „Nun seid mal endlich leidenschaftlich und hingebungsvoll!“ Dazu kann man niemanden überreden und zwingen, am wenigsten sich selbst. Aber des Nachdenkens und -fühlens finde ich es schon wert: Wenn bei der Partnerliebe nach Jahrhunderten der Zwangsverheiratung und Vernunftehe endlich die Stimme des Herzens zählt, dann möchte ich auch für die christliche Nächstenliebe empfehlen, mehr auf unser Herz zu hören und jeden zwanghaften, leidensverherrlichenden Opfergedanken aufzugeben. Anders gesagt: Eine „gute Tat“ bei der unser Herz nicht wirklich „höherschlägt“ oder meinetwegen „wild pochend in die Hosentasche rutscht“ macht christlich nicht viel Sinn.

„Verliebtheit“ kennen wir nur aus der Partnerliebe und halten es fälschlich für ein Privileg der Jugend. Verliebtheit ist aber nichts als ein anderes Wort für Hingabe. Können Sie sich noch verlieben? In das Leben? In seine immer wieder – wenn auch nur kurz – aufblitzende Schönheit? Können Sie sich verlieben in das Glück der Menschen? Die heilende Hingabe an deren Leben ist dann die natürliche Folge – wie bei Jesus. Können Sie sich noch leidenschaftlich empören über Unrecht und Leid, das Menschen geschieht? Die kämpferische oder mitleidende Hingabe an deren Leben ist dann die natürliche Folge – wie bei Jesus.
Wache Sinne und ein weites, geöffnetes Herz, sind alles, was wir brauchen, um zur Hingabe fähig zu werden. Das kann man tatsächlich trainieren. Was dabei herauskommt? Vollkommene Freude, Lebenssinn! Versprochen ist versprochen. Auch da dürfen wir Jesus ernstnehmen.
Die Passionszeit vor dem Osterfest bekommt in diesem Sinn eine ganz neue Dynamik ...
Stefan Herok